Die zweite Auflage ist da!

Nach einem Jahr intensiver Arbeit ist die aktualisierte Fassung meines Buches endlich erschienen. Hier werden die Einführung und das Inhaltsverzeichnis veröffentlicht.

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Jede große Transformation in der Geschichte der Menschheit wurde bisher von einer kulturellen Revolution ausgelöst und begleitet. Diese Publikation zeigt, warum dies auch für die Transformation zur Nachhaltigkeit gilt. Im Fokus stehen nicht nur Werte, Menschen- und Naturbilder, sondern auch die gesellschaftliche Verantwortung von Bildung, Wissenschaft, Kunst und Medien. Für die zweite Auflage wurden die Inhalte überarbeitet und aktualisiert, Thesen geschärft und neue Studien einbezogen.
Gegenwärtig befinden wir uns zwischen zwei großen gesellschaftlichen Transformationen: Die erste ist die kapitalistisch-industrielle, die vor fünf Jahrhunderten begann, bis heute dominiert und sich am Kulturprogramm der Modernisierung orientiert. Sie hat die Gesellschaft in eine Polykrise geführt, es droht ein Zivilisationskollaps. Die zweite Transformation ist jene zur Nachhaltigkeit, die sich an »Visionen einer anderen Entwicklung« jenseits von Wachstum und Massenkonsum orientiert. Diese beiden Transformationen verdrängen sich an einigen Stellen gegenseitig und vermischen sich an anderen. Einerseits ist es die schwächere Transformation, die oft assimiliert wird. So werden derzeit eine »ökologische Modernisierung« und ein »nachhaltiges Wachstum« theorisiert, obwohl solche Ansätze Widersprüche an sich sind. Andererseits ist die soziale und ökologische Umwelt ein politisches Subjekt, das immer stärker in Dynamiken und Debatten mitmischt. So oder so wird sich an den Reibungsflächen zwischen den beiden Transformationen entscheiden, wie sich die Transformation zur Nachhaltigkeit am Ende durchsetzt: by Disaster or by Design.

Einführung: Welche Transformation?

Fortschritt und Krise sind keine Gegensätze: Das macht uns die Gegenwart bewusst. In der Geschichte der Menschheit begann die Abwärtsspirale mancher Zivilisationen ausgerechnet am Höhepunkt ihrer Entwicklung (Diamond 2006). Wie können Gesellschaften selbst dann an einem Entwicklungspfad festhalten, wenn er sie in den Abgrund führt? Diese Publikation sucht die Antwort in der Kultur. Neben der Umwelt bildet sie die zweite heimliche Macht im Anthropozän. Denn Kultur ist der »Bauplan der Gesellschaft«, der sich durch Entwicklung materialisiert. Kultur ist die »DNA der Gesellschaft«, die das soziale System trotz Arbeitsteilung zusammenhält und gleichzeitig seinen Austausch mit der Umwelt reguliert. Wenn das Verhältnis zwischen System und Umwelt gestört ist, dann liegt es in erster Linie an der Kultur.

Seit Jahren jagt eine Krise die nächste: Klimakrise, Finanzkrise, Krise der Demokratie, Corona-Krise, Ukraine-Krieg. Entsprechend deutlich fällt die Diagnose der Sozialwissenschaftler*innen aus: »Globale Krise« (Hamm 2006), »Metakrise« (Leggewie und Welzer 2009), »Multiple Krise« (Brand 2009), »VielfachKrise« (Demirović et al. 2011) und Polykrise (Morin und Kern 1999; Homer-Dixon et al. 2021). Ob uns ein radikaler Wandel bevorsteht oder nicht – ob wir ihn wollen oder nicht – diese Fragen stellen sich heute nicht mehr: Wir sind bereits mittendrin. Die einzige Frage ist, ob der Wandel by Disaster or by Design stattfinden wird. Damit lehnt sich der Buchtitel an ein Zitat des Präsidenten des »Global Footprint Network« Mathis Wackernagel (2014) an. Die gleiche These wird vom US-Biogeografen Jared Diamond in seinem Werk »Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen« so ausgedrückt:

»Da wir auf dem nicht-nachhaltigen Weg schnell vorankommen, werden die ökologischen Probleme der Erde in jedem Fall auf die eine oder andere Weise gelöst werden, und zwar zu Lebzeiten der heutigen Kinder und jungen Erwachsenen. Die Frage ist nur, ob es eine angenehme, von uns selbst gewählte Lösung sein wird, oder ob sie unangenehm sein wird und nicht unserer Entscheidung entspringt, ob es also beispielweise zu Kriegen, Völkermord, Hungersnöten, Krankheitsepidemien und dem Zusammenbruch von Gesellschaften kommt« (Diamond 2006, S. 615).

Wollen wir den Wandel lieber mitgestalten, als ihn über uns ergehen zu lassen, dann entscheiden wir uns für Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist eine Notwendigkeit, weil sie der Gegenentwurf zu jeder Entwicklung ist, die soziale Systeme in eine Sackgasse führt. Gleichzeitig ist Nachhaltigkeit eine Chance, weil sie für ein gutes Leben steht, das nicht auf Kosten anderer geht – künftige Generationen inbegriffen (Brocchi 2021, S. 2).
Die Debatte über einen Wandel der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit findet seit einigen Jahren unter dem Begriff »Transformation« statt (Leggewie und Welzer 2009; Grießhammer und Brohmann 2015). Eben diese Transformation bildet den zentralen Gegenstand dieser Publikation. Mit seinem Hauptgutachten von 2011 forderte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) einen »Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation«. Seitdem steht der Begriff »Große Transformation […] hoch am Himmel, keine Diskussion kommt mehr ohne ihn aus« (Sachs 2013, S. 18). Mit »Große Transformation« meinte der WBGU den »nachhaltigen weltweiten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft« (WBGU 2011, S. 5). Um die menschengemachte Klimaerwärmung möglichst weit unter 2 Grad zu halten und die katastrophalsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden, müsste die Große Transformation vor 2050 stattfinden und jetzt ansetzen (IPCC 2022). Ein sehr ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, dass dies ein Wechsel des Energieregimes in unserer Gesellschaft bedeutet. Noch heute wird über 81 % des weltweiten Energiebedarfes durch fossile Energieträger (Öl, Kohle, Gas) gedeckt, dazu kommen 5 % Kernenergie (IEA 2021). Kaum anders sind die Verhältnisse in der Bundesrepublik: 78,8 % fossile Energieträger (BDEW 2022). Insgesamt ist unsere Lebensweise immer noch weitgehend von klimaschädlichen und nicht-nachhaltigen Energieträgern abhängig. Von ihnen muss nun rasch Abschied genommen werden.

Der WBGU fokussiert die Transformation auf die Klimakrise. Sie hat höchste Priorität, trotzdem bleibt sie nur ein Aspekt der gegenwärtigen Polykrise. Darin nähren sich die verschiedenen Krisen wechselseitig und haben gemeinsame systemische Ursachen. Und wenn eine Krise systemisch ist, dann kann sie nur systemisch überwunden werden. Genauso wird »Transformation« in den Politikwissenschaften begriffen: als ein Systemwechsel, sprich als ein »Übergang von einem Ordnungssystem zu einem grundsätzlich anderen System« (Merkel 1999, S. 15). In einer Transformation zur Nachhaltigkeit werden Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur zusammen statt getrennt gedacht. Nachhaltigkeit zeichnet sich also durch eine multidimensionale statt monodimensionale (auf Wirtschaft zentrierte) Auffassung von Entwicklung aus.

Um die Größenordnung und die Eingriffstiefe der Transformation zur Nachhaltigkeit bewusst zu machen, die in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts stattfinden soll, vergleicht der WBGU diese mit den ersten zwei großen Transformationen in der Geschichte der Menschheit. Die erste ist die neolithische Revolution, die vor circa 12.000 Jahren begann. [Weiter ab Seite 4 in der Einführung – hier als PDF]

Aus: Davide Brocchi (2024): By Disaster or by Design? Transformative Kulturpolitik: Von der Polykrise zur systemischen Nachhaltigkeit. Wiesbaden: Springer VS.

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