Soziale Ungleichheit und Nachhaltigkeit

Zu diesem Thema habe ich einen Aufsatz in der soziologischen Zeitschrift »Berliner Debatte Initial« veröffentlicht.

Seit dem ersten Bericht des Club of Rome sind mehr als 50 Jahre vergangen, mehr als 30 Jahre seit der Agenda 21. Das Versprechen der Nachhaltigkeit und die tatsächliche Entwicklung klaffen jedoch immer weiter auseinander. Gerade für die »beschleunigte Gesellschaft« (Rosa 2016) und die »Wissensgesellschaft« (Böhme, Stehr 1994) ist eine solche Unbeweglichkeit paradox. Wie kann eine Gesellschaft so stur an ihren Problemen festhalten, obwohl die Lösungen so dringend erforderlich und längst bekannt sind? Warum bevorzugt die Menschheit weiterhin eine nicht-nachhaltige Entwicklung?

Um eine passende Antwort darauf zu bekommen, müssen erst die Fragen richtig gestellt werden. Denn gerade in Zeiten der neoliberalen Globalisierung sind sprachliche Verallgemeinerungen wie »die Gesellschaft« und »die Menschheit« oft Ausdruck eines ideologischen Framings, in dem soziale Ungleichheiten ausgeblendet werden (Wehling 2019). Darin wird Wirtschaftswachstum so dargestellt, als ob es allen zugutekommen und ganz ohne Kosten entstehen würde. Dieser alltäglichen Propaganda widersprechen jedoch die Naturgesetze. Denn »so etwas wie ‚Freibier‘ gibt es in der Natur nicht« (Commoner 1973: 49). In geschlossenen Systemen verursacht jede wachsende Ordnung eine wachsende Unordnung an anderer Stelle, so der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (Entropie). Wenn jeder Gewinn seinen Preis hat, dann wächst mit der Wirtschaft eine ökologische und soziale Rechnung, die früher oder später beglichen werden muss, zum Beispiel in Form der gegenwärtigen Polykrise. Davon merken die »Wohlstandsinseln« zunächst nur deswegen wenig, weil sie ihre Kosten externalisieren (Lessenich 2017). An ihren sichtbaren und unsichtbaren Grenzen fungieren die Strukturen der sozialen Ungleichheit wie eine »Sortiermaschine« (Mau 2021), die bestimmt, wer die Entwicklung als Fortschritt und wer sie als Rückschritt erlebt; wer davon profitiert und wer den Preis dafür zahlt. Dass der Abstand zwischen Privilegierten und Benachteiligten immer größer wird, zeigt, wie wirksam und effizient diese Sortiermaschine ist. So hat die soziale Ungleichheit inzwischen groteske Ausmaße angenommen: Laut Oxfam (2017a) besitzen allein acht Männer heute so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, sprich wie etwa vier Milliarden Menschen zusammen. In Deutschland sind es 36 Milliardäre, die sich so viel Vermögen (297 Mrd. US-Dollar) angeeignet haben wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung insgesamt besitzt (Oxfam 2017b). Wie berechtigt ist es überhaupt, von »einer« Gesellschaft zu sprechen? Befinden wir uns wirklich im Anthropozän – oder vielleicht doch im »Westozän« oder »Kapitalozän« (Schwägerl 2017: 128)? […]

Den vollständigen Text finden Sie in Berliner Debatte Initial 34 (2023) 3, S. 30-45.

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